Das Jugendamt

Zunächst ist mir wichtig, Dir mit meiner kleinen Story zu beginn dieses Posts lediglich meine Erfahrungen zu erzählen. Das Jugendamt hat viele Aufgaben und die wenigsten Aufgabenbereiche der Mitarbeiter dort liegen in den Familien selbst. Aber auch die Sozialarbeiter und Pädagogen, deren Aufgaben direkt in den Familien sind, müssen den Großteil ihrer Arbeit am Schreibtisch verbringen. Ich möchte, dass du weißt, dass es sich hier im Normalfall um Menschen handelt, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Familien zu helfen, egal worum es geht. Los geht`s!

Wir waren gerade nach Frankfurt am Main gezogen, meine mittlere Tochter und ich. Sie war drei Jahre alt und hinter uns lagen schon vier Monate nach unserem Auszug aus dem Mutter-Kind-Heim, raus in die weite Welt. Zu weit. Und um einiges zu groß für uns, denn im Heim hatten wir drei Jahre lang in einem sehr geschützten und sicheren Rahmen gelebt und gelernt - unserer kleinen Welt. Ich kannte nur solche kleinen Welten, war ich vor dem MuKi auch schon einige Jahre in Heimen und Pflegefamilien und das immer in kleinsten Dörfern im bayrischen Franken. Jetzt standen wir aber nunmal in einer Metropole, sie und ich und alles was die letzten vier Monate so schwer gemacht hatte: Wohnungslosigkeit, Schulabbruch in der Oberstufe und und und...
Unsere gerade bezogene Wohnung war (und blieb auch bis zu unserem Auszug) vollkommen kahl und trostlos. Das einzig wirklich Gute war, dass meine Zwergin schnell einen Kitaplatz bekam und so den Großteil den Tages weit weg von unserem Elend spielen und lernen konnte. Überhaupt war diese Kita ein wunderbarer Ort - sehr liebe und engagierte Erzieherinnen, ein damals, vor 9 Jahren neues und toll durchdachtes offenes Konzept und eine schöne Einrichtung, mit Waldanbindung und Bio-Essen. Und meine Tochter, mein einziges Glück überhaupt bis dahin, musste jeden Abend zurück in unser heruntergekommenes Leben, von dem ich wusste, ich allein hatte es versemmelt. Ich wusste aber leider auch nicht, wie ich das ändern konnte. Keine Eltern, keine Familie allgemein, zu der ich hätte gehen können und auch noch keine Freunde. 
Alles was ich wusste war das, was man mir beim Jobcenter gesagt hatte und auch das hatte nur mit Finanzen, nicht aber mit Lebenspraxis zu tun. Ich war aufgeschmissen. Und um ein Haar wären WIR aufgeschmissen gewesen, hätte ich mich nicht daran erinnert, dass man beim letzten Gespräch mit dem Jugendamt im MuKi, darüber gesprochen hatte, ob ich nach meinem Auszug nicht eine Familienhilfe bekommen sollte. Die Frage wurde von allen Seiten bejaht. Aber wo war sie? Irgendetwas musste vergessen worden sein. Also wendete ich mich telefonisch an das MuKi, meine Heimat, die mich an das Jugendamt meiner frühesten Heimat verwies, welches mich wiederum an das Frankfurter Jugendamt verwies. Klasse... Das ging ja schon gut los. Ich entschied mich, einfach hinzugehen. Vielleicht würde mich dann ja niemand so schnell abwimmeln.

Am nächsten Tag ging es also für mich dorthin, wo ich mir Hilfe erhoffte. Nach einigem Hin und Her und von einer Tür zur nächsten geschickt werden, kam ich bei Frau B. an. 
Frau B. war eine immer lächelnde, gut gelaunte Frau mittleren Alters, die sich meine Sorgen und Nöte gern anhörte. Ich hatte sofort das Gefühl, gut aufgehoben zu sein und ihr von all den selbstgemachten Problemen erzählen zu können. Ich wurde nicht verurteilt. Sie sagte, sie sehe mein Potential und würde sich in Kürze bei mir melden. 
Drei Wochen später meldete sie sich immer noch nicht und war auch nicht erreichbar. Niemand dort war erreichbar oder zuständig. Ich beschloss über andere Wege Druck aufzubauen...

Nachdem eine weitere Woche später alles abgesprochen war und sowohl Kita, als auch eine gute Bekannte meiner Mutter, bei der ich auch einen Großteil unserer Obdachlosigkeit verbracht hatte, mich nach unserer Absprache beim Jugendamt "angeschwärzt" hatten, stand eines Tages überraschend Frau B. vor meiner Tür. Lächelnd. Sie sah sich in meiner Wohnung um.
Und da kam zum ersten Mal in meinem Leben die Angst auf, die viele kennen. Jetzt nimmt  sie mir meine Kind weg, war mein Gedanke. Die Wohnung war nicht nur leer, sie war auch bis oben hin verdreckt. Einzig die Wäsche war immer gewaschen, sodass niemand von außen etwas mitbekam. 
Aber Frau B. fragte mich stattdessen nach meinem Zustand: "Wenn in unserer Seele Chaos herrscht, sehen wir es in unseren vier Wänden wieder".  Kluge Frau B. Ich danke Ihnen.

Sie machte mit mir einen Termin aus, an dem ich meine Familienhilfe kennenlernen sollte und verabschiedete sich mit der Bitte, meine Tochter bei besagtem Termin auch einmal kennenlernen zu dürfen.
Von da an war es ein zäher Weg. die Familienhelferin, Frau R. und später Frau P. halfen mir dabei, meine Wohnung sauber zu machen und zu halten (obwohl das nicht deren eigentliche Aufgabe war), boten mir einen erwachsenen Ansprechpartner und zeigten mir Wege, aus der Einsamkeit und der Perspektivlosigkeit heraus.
Etwa ein halbes Jahr später hatten wir über den sogenannten FrankfurtPass schon alle Museen und schönen Orte Frankfurts besichtigen können, meine Tochter hatte ein schönes Zimmer und wir hatten insgesamt ein paar Möbel, die mir völlig reichten. Ein weiteres Jahr später war ich dabei, zu arbeiten und mein Abitur von Zuhause aus nachzuholen und noch ein weiteres halbes Jahr später war ich bei den Joblingen. Das war das Beste, was meiner beruflichen Zukunft hat passieren können. Aber leider zündete das erst etwas verspätet. Egal. Ich wusste dann, ich hatte etwas vor und nichts war mehr unmöglich. 

Ich konnte beginnen, mein Leben eigenständig zu führen und Frau P. "verließ" uns. Danke, Frau R. und Frau P. 

Das ist heute fast acht Jahre her. Meine Tochter erinnert sich heute, mit 12 Jahren, noch lachend daran, wie Frau P. ihr das Radfahren beigebracht hatte, weil ich nicht radfahren konnte 😂

Was ich dir mit meiner Geschichte sagen will

In meinem Fall hat es überraschend lange gedauert, bis das Jugendamt vor meiner Tür stand. Das liegt daran, dass die Mitarbeiter der Sozialdienste, gerade in Großstädten, besonders viel zu tun haben: Außentermine, Schreibtischarbeit, verzweifelte Eltern, die ohne Termin oder jegliche Ankündigung vor den Büros stehen und Hilfe suchen, um dann ein einstündiges Gespräch daraus zu machen... Ähäm...

Die ASDs, allgemeinen sozialen Dienste der Jugendämter, sind derart überlastet, dass niemand die Zeit  hätte, dir wegen eines Anrufs von der Nachbarin einfach mal so die Kinder zu entziehen.

Das ist auch gar nicht so einfach! Denn wenn ein Kind außerhalb seiner Familie untergebracht werden muss, bedeutet das nicht nur einen enormen, was sage ich, horrenden Kostenaufwand, es will auch noch sehr gut und in jedem Fall schriftlich begründet und - wenn nicht gerade wirklich Gefahr in Verzug ist - von einem Gericht abgesegnet sein.

Ich, als Heimkind ohne eigene Kinder habe den Staat jeden Monat etwa 5500 Euro nur an Unterbringung und Verpflegung gekostet. Nachhilfe, Fahrtkosten, Schulfreizeiten, Taschengeld und sonstige weitere Kosten sind da nicht eingerechnet.

Viel günstiger sind da Hilfestellungen, die innerhalb der Familie angeboten werden können. Eine Familienhilfe kostet den Staat nur rund die Hälfte, will ich mal schätzen.
Außerdem braucht es für solche Hilfen keine Gerichtsbeschlüsse und der Papierkram ist sauber auf zwei bis drei Parteien aufgeteilt, nämlich auf den Mitarbeiter des ASD beim Jugendamt selbst, den Sozialarbeiter, der deiner Familie hilft, und ich glaube noch den Träger, für den dieser Sozialarbeiter arbeitet.

Japp... So eine Familienhilfe ist nämlich äußerst selten beim Jugendamt selbst beschäftigt. Dafür gibt es Jugendhilfeträger oder andere Stellen, wie die AWO oder Diakonie.
Die machen nicht nur schicke Flyer, sondern bieten Familienpfleger, Sozialarbeiter, Kitaplätze, Altenpfleger, Notmütterdienste, Haushaltshilfen, Kinderhorte und so einiges mehr an.
Aber das war nur so eine Randnotiz.

Wenn also dein alter, verbitterter Nachbar morgen früh meckert und damit droht, das Jugendamt einzuschalten, weil dein Kind nachts geweint hat, kannst du es ebenso schnell wieder vergessen, wie du es gehört hast. Die Wahrheit ist nämlich: Solche Anrufe erhalten die ASDs täglich und Du darfst nicht vergessen, das sind Leute, die den ganzen Krempel studiert haben und meistens selbst Kinder haben. Die wissen, dass Kinder nachts auch mal weinen, den ganzen Tag laut sind und Nachbarn eine nervtötende Katastrophe sein können.
Die machen sich wahrscheinlich nicht mal Notizen zu solchen Anrufen.
Keine Angst.

Und um dem Wort Jugendamt seinen Horror ganz und gar zu nehmen:

Es gibt zahlreiche Stellen beim Jugendamt, mit denen du ständig zu tun haben wirst.

Die Wirtschaftliche Jugendhilfe: 
Deren Aufgabe ist es, zu berechnen, welchen Anteil an Kosten für Kita, Hort, Schulzeugs und anderes du tragen musst. Das ermitteln die Mitarbeiter anhand einer Tabelle, die nach Einkommen staffelt.

Die UVG-Stelle 
Hilft dir, den Unterhalt beim anderen Elternteil deines Kindes einzuholen, berechnet den Unterhalt für dein Kind anhand der Düsseldorfer Tabelle, prüft deinen Anspruch auf und zahlt dir das UVG (Unterhaltsvorschuss), den der unterhaltspflichtige Part von euch in jedem Fall zurück bezahlen muss.

Die Stelle für Beurkundungen (heißt überall anders)
Hier könnt ihr unter Anderem vor oder nach der Geburt die Vaterschaft für das Kind anerkennen lassen, wenn ihr nicht verheiratet seid und über das Sorgerecht entscheiden, denn bei unverheirateten Paaren, bekommt automatisch die Mutter das alleinige Sorgerecht, wenn ihr das nicht vorher anders klärt und beurkunden lasst.

Die Stelle für Tagespflege
Eine wichtige Stelle, wenn ihr keinen Kitaplatz bekommen habt! Die wissen weiter.

Außerdem gibt es noch die Jugendgerichtshilfe, eine/n Kinder- und Jugendbeauftragte/n, Mitarbeiter die sich um Spielplätze oder Jugendfreizeitzentren kümmern, den Pflegekinderdienst und und und...

Oft gehen wir zum Jugendamt, ohne es überhaupt zu wissen, denn der größte Teil des Jugendamtes besteht eben auch nur aus Verwaltung. Wie der Rest des Rathauses. Du musst dir also keine Sorgen machen, wenn du mal zum Jugendamt musst oder dir jemand mit eben diesem droht.

Wenn du Probleme mit deinem Kind oder deinem (Ex-) Partner hast, selbst unter 25 und in einer Notsituation bist, dir die Decke auf den Kopf fällt, deine Eltern ein Totalausfall sind oder du Angst hast vor egal was - wende dich ohne Bedenken an den allgemeinen sozialen Dienst beim Jugendamt. Meistens helfen die sogar, wenn sie gar nicht helfen können!

Und hör bitte nicht auf die Medien. Kein Jugendamt kann dir dein Kind aus Langeweile wegnehmen. Und noch weniger von jetzt auf gleich, ohne sich selbst zu vergewissern, dass es wirklich sofort nötig wäre.

Merk dir auch, dass eine schmutzige Wohnung noch keinen Grund bietet, dein Kind aus dieser rauszuholen. Wenn überhaupt, dann nur für die Dauer bis es wieder einigermaßen erträglich ist.

Klar gibt es die sogenannten Auflagen, die Eltern vom Jugendamt bekommen haben, weil sie Mist bauen oder die Wohnung schon völlig menschenunwürdig dreckig ist oder weil die Familienhilfe einfach die Erfahrung mit diesen Eltern gemacht hat, dass es nicht ohne strenge Kontrolle geht. Aber selbst das ist immernoch einfacher und billiger für den Staat, als dir dein Kind wegzunehmen.

Hier einmal eine Liste von Fällen, in denen ich mitbekommen habe, dass die Kinder tatsächlich aus den Familien raus mussten:

- Mutter nahm Drogen und fand es legitim, hat also keinerlei Anstalten zur Verhaltensänderung gezeigt. Dauer bis die Kinder raus kamen: ca. 4 Monate

- Vater Alkoholiker, Mutter stark psychisch belastet durch Verschiedenes familiäres, Wohnung zeitweise vermüllt. Dauer: 4 Jahre!

- Mutter, alleinerziehend, betrinkt sich mit Freunden im heimischen Wohnzimmer bis zum Blackout, das Kind, 2 Jahre, steht halbnackt im Treppenhaus. Dauer: 40 Minuten
(Zwei Tage später war der kleine Mann auch schon wieder Zuhause. Die Mutter bekommt vielleicht sogar noch heute ab und an unangekündigten Besuch 😉)

- Mutter im MuKi, psychisch extrem durch Vergangenes angeschlagen und kaum Kraft, sich allein um ihr Würmchen zu kümmern. Dauer: 9 Monate

- Mutter im MuKi, enorm jung und selbst entwicklungsgestört, Kind ebenfalls entwicklungsverzögert wegen mangelnder Förderung. Dauer: 8 Monate

Nein, so ein MuKi ist auch keine Kinderdiebstahlstelle, keine Bange. Das waren zwei von 13 Familien dort, die ich mitbekommen hatte und es ging deshalb schneller als es draußen gegangen wäre, weil wir eine 24 h Betreuung hatten, die Betreuer also sehr viel schneller und genauer beurteilen konnten, ob die Eltern fähig zur Erziehung waren.
Im übrigen wurden diese Kinder auch nicht direkt weggenommen, die Entscheidung wurde gemeinsam mit der jeweiligen Mutter getroffen. Das Jugendamt war hier auch bloß die ausführende Kraft, die die Treibende.

Wenn solche oder ähnliche Gefährdungen nicht auf deine Familie zutreffen, musst du dir also keine Sorgen machen. 😉

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